Gedenkstein an der Prießnitzstraße
Ein schlichter Findling mit der Aufschrift „13. Februar 1945“ verweist auf den Ort, wo bis zum Bombenangriff in jener Nacht das vierstöckige Eckgebäude Prießnitzstraße 2 gestanden hatte. Es gehörte dem Verein Haus Wettin Albertinischer Linie e.V. Typisch für die Gründerzeit war das Erdgeschoss gewerblich genutzt. Laut Adressbuch von 1944 besaßen hier Alfred Uhlich einen Friseursalon und Walter Jäkel eine Zigarrenhandlung, vermerkt ist zudem ein Korbmacher Stoll. Des Weiteren führten die Witwen Käthe Horn das Lebensmittelgeschäft und Margarethe Beugel die Klempnerei ihrer vermutlich gefallenen Männer weiter. Die vormalige Fleischerei von Gustav Schäfer und die Schusterwerkstatt von Franz Matys erwähnt dieses Adressbuch bereits nicht mehr. Das bekannte „Schiller-Kaffee“ des Konditormeisters Wilhelm Patterson mit Loggia-Terrasse zur Prießnitz war hingegen noch geöffnet. Darin wurde an jenem Faschingsdienstag eine Hochzeit gefeiert.
Am Vortag des 13. Februar 2021 berichteten die Dresdner Neuesten Nachrichten (DNN) von einer 90-jährigen Zeitzeugin an dieser Stelle. Die damals 14-jährige Margareta Fritzsche kam von einem Einsatz an der Tieckstraße. Dort markiert bis heute ein Mahndepot den Kriegsverlust der 49. Volksschule in der Nummer 14. Darin hatte man ein provisorisches Durchgangslager für Flüchtlinge mit Sanitätsstelle und 1.000 Strohlagern eingerichtet. Am Abend des 13. Februar 1945 waren 750 Flüchtlinge, zumeist aus Schlesien, eingetroffen. Das Mädchen lief auf dem Heimweg von dort gerade die Bautzner Straße entlang wie die DNN berichteten, da ertönte Voralarm. „,Ich bin ja fast daheim‘, dachte sich Margareta, als Vollalarm die Luft zittern ließ. Sie hatte die Ecke zur Prießnitzstraße erreicht. Der Luftschutzwart des Gebäudes packte das Mädchen und wollte es in den Keller ziehen. Margareta riss sich mit aller Kraft los und rannte die wenigen Meter bis nach Hause, wo die Mutter sie angsterfüllt erwartet hatte.“ In der Nacht barsten die Fensterscheiben ihrer Wohnung, sie überlebten und hörten im Nachhinein, dass sich wohl an die 100 Personen in jenem Keller aufgehalten hätten.
Diese mündlich überlieferten Augenzeugenberichte schildern den Einschlag einer großkalibrigen Sprengbombe – andere nennen sie Luftmine –, die das Gebäude samt dem als Schutzraum dienenden Keller zerstörte. Alle Hausbewohner, die Hochzeitsgesellschaft und viele Fahrgäste der Straßenbahnlinie 11, die hierher geflüchtet waren, kamen darin um. Am nächsten Tag habe man die geborgenen Toten an der Hausruine nebeneinander aufgebahrt. Man hätte jedoch vermutlich nicht alle unter den Trümmern entdeckt.
Paul Pfund schreibt in seinen Lebenserinnerungen, dass ihm sein Großvater Max – der Molkereidirektor besaß und bewohnte das Nachbarhaus – „bitterlich weinend erzählte, dass damals über 70 Personen ihr Leben verloren und man viele der Opfer auf dem Gehweg und in der Zufahrt zu seinem Grundstück Prießnitzstraße 6 [Hausnummer 4 fällt aus] aufgebahrt hätte“.
Möglicherweise waren es Bauarbeiter, die in den 1950er Jahren das Grundstück einebneten, den Stein an der Straßenecke platzierten und das Datum darauf malten. Von den Mietern hatte einzig der Sohn von Antonia Rosenkranz überlebt, weil er während des Angriffs nicht zu Hause gewesen war. Er hatte seine gesamte Familie im Zweiten Weltkrieg verloren und pflegte die Stelle zu deren Andenken bis zu seinem Tod. Nach ihm übernahm dies die Neustädterin Hildegard Peukert, bis auch sie starb.
Als der Schriftzug „13. Februar 1945“ allmählich verblasste, ergriff Margareta Fritzsche die Initiative und erneuerte ihn. 1996 brachte sie an ihrem Ort des Innehaltens ein Bettlaken an, das von mehr als 100 Toten an dieser Stelle sprach und dazu aufforderte, die Gräuel des Krieges nicht zu vergessen, mit dem Zusatz „Ich wurde gerettet“.
Die Gruppe „kunstplan“ kennzeichnete am 13. Februar 2003 im Rahmen ihres Projekts „Gravuren des Krieges“ die Stelle mit dem Mahndepot „Ort 58“ im Fußweg. Die im Boden versenkte längliche Edelstahlhülse von fünf Zentimetern Durchmesser enthielt ein Foto von dem Transparent und einen erklärenden Text. Der Bohrkern wird zusammen mit den anderen im Stadtmuseum aufbewahrt. Seither legten am Jahrestag der Zerstörung engagierte Bürger spontan an der Ecke Bautzner/Prießnitzstraße Blumen nieder und zündeten Kerzen an.
Über die Jahre verwilderte und vermüllte das Beet, wurde der Stein beschmiert. 2019 hat die Stiftung Äußere Neustadt den Mahnort saniert und dafür auch Mittel des Stadtbezirksbeirates Neustadt genutzt. Knapp 6.000 Euro kostete die Erneuerung des Gedenkortes. Das Depot aber verschwand im Zuge der Baustelle zur Errichtung von „Pfunds Höfen“ 2021. Die für 2022 avisierte Aufwertung dieser Station des Erlebnispfades Blickwinkel sieht eine pflegeleichte Bepflanzung und schlichte Beschriftung des Orts vor.