Das Gedächtnis der Neustadt
Stiftung finanzierte Ausrüstungsteile des Stadtteilarchivs
Wer ein Archiv leitet, weiß: 1835 Euro sind zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Nachdem die Stiftung 2008 diese Summe für das Gedächtnis der Äußeren Neustadt bewilligt hatte, wurde es jedoch klug angelegt: Computer, Monitor, Laptop, Software, Scanner, Aufnahmegerät und Kamera sprangen heraus. Ziel: ein Stadtteildokumentationszentrum Dresden-Neustadt mit BRN-Museum, Plakatsammlung, Arbeitsplatz für die Online-Suche und Begleitstelle für Schülerprojekte.
Wer schon einmal in einem Archiv saß, weiß: Sich durch Karteikästen, Aktenberge und Mikrofilmkilometer durchzuarbeiten, geht nicht ohne Menschen, die da System hineinbringen und den überforderten Laien an die Hand nehmen. „Ein solcher Schatz ist uns 2009 in den Schoß gefallen“, sagt Ulla Wacker, Chefin des Stadtteilhaus Dresden-Äußere Neustadt e.V., der in der Prießnitzstraße 18 eben auch jenes Stadtteilarchiv hütet. Als die gelernte Finanzbeamtin und studierte Wirtschaftspädagogin Anett Lentwojt für drei Jahre eine Kommunal-Kombi-Stelle antrat, bot sich damit die Chance, endlich die traurigen Reste der Sammlungen der Geschichtsgruppe der Bürgerinitiative IG Äußere Neustadt (IG) zu erfassen und so zu systematisieren, dass sie eine moderne Vor-Ort- und Onlinesuche ermöglichen.
Traurige Reste? „Beim Brand im Dachstuhl 2004 hatte das Löschwasser die dort lagernden Bestände schwer in Mitleidenschaft gezogen, die Ordnung kam beim Bergen durcheinander, auch Verluste wurden bei der Übernahme von der 2006 aufgelösten IG sichtbar“, erinnert sich Ulla Wacker. Das Konzept eines Stadtteilmuseums und -archivs hatte die IG bereits 1991 ausformuliert. Angedacht waren damals Räume in der Böhmischen Straße 17. Seit 1989 erforschten Ehrenamtliche um Jens Wonneberger, Detlef Pflugk und Una Giesecke den Stadtteil nach dem Prinzip der Geschichte von unten. In Ausstellungen, Zeitschrift und Stadtteilführungen und 1995 in einem Buch stärkten sie die Identifikation der Bewohner mit dem Viertel und setzten sich so für eine bewahrende Erneuerung ein. Ein Bestand von 15 laufenden Metern an Bild- und Textdokumenten, Pressearchiv und musealen Gegenständen hatte sich bis zum Brand angesammelt.
Kiste für Kiste
Kiste für Kiste öffnete Anett Lentwojt, pflegte sie – nach einer Schulung bei Stadtarchivdirektor Thomas Kübler – in das moderne Katalogisierungs- und Softwaresystem ein und ließ die Blogleser an ihren Entdeckungen auf erfrischende Art teilhaben. Mit Auslaufen der Stelle Ende August 2012 fehlte zwar noch eine nutzerfreundliche Oberfläche. „Aber auf der aufgebauten Basis können sich jetzt Gäste, Ehrenamtliche und Praktikanten dransetzen und etwas suchen oder weiter einpflegen“, ist Ulla Wacker erleichtert. Neben der repräsentativen Plakatauswahl ist sie vor allem stolz auf das BRN-Museum, das jeden ersten Sonntag im Monat öffnet. Auch dies hat Anett Lentwojt aus Schenkungen und Leihgaben unter mühseliger Rechteklärung aufgebaut und neben der Dauerausstellung diverse Sonderschauen kuratiert.
„Den Mikrokosmos Neustadt in Historie und Gegenwart zu dokumentieren, ist eine gefragte Sache“, weiß Ulla Wacker. Anett Lentwojt bestätigt dies. „Rund 50 Anfragen erhalten wir pro Jahr, gehäuft vor der BRN. Gerade Studenten lassen sich oft zu Untersuchungen über dieses Viertel, das sie fasziniert, beraten. Auch über unsere Teilnahme am jährlichen Geschichtsmarkt Dresden hat sich das Angebot auch in anderen Bevölkerungskreisen herumgesprochen. Und immer mehr Suchende stoßen über Google auf uns.“ Trotz der wachsenden Nachfrage und lobenden Resonanz „wirft ein Archiv nun mal keinen Profit ab“, konstatiert Ulla Wacker illusionslos und steht wieder am Anfang: zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.