Ein Ort zum Quatschen

Die Stiftung unterstützte 1994 ein Stadtgespräch zu bezahlbarem Wohnen

Jeder Stadtteil braucht Orte zum Quatschen. Im Park, am Arbeitsplatz, im Kino, auf dem Spielplatz, im Theater oder in der Kneipe findet Kommunikation und Auseinandersetzung mit anderen Lebensansichten und -stilen statt. Soziale Entmischung und Verdrängung sozial Schwächerer hingegen unterbricht diesen Austausch. Dies aufzuzeigen versuchte das Projekt „Stadtgespräch – Ansätze alternativer Stadtgestaltung“ im Frühling 1994. Als beim Aufschwung Ost im Zeitraffer kein Platz mehr schien zum Träumen von bezahlbarem und gemeinschaftlichem Wohnen, sollte es jene bedrohten Gefühle von Geborgenheit und Verwurzelung im Stadtteil pflegen. Gäste aus Hamburg, Berlin, Potsdam und Dresden kamen in der Böhmischen Straße 26  zusammen, um sich über Probleme und Utopien zu behutsamer Stadterneuerung und Wohnkonzepten auszutauschen.

    Jenes leer stehende Gebäude hinter dem Spielplatz, dessen Sanierung durch einen Rückübertragungsanspruch jäh abgebrochen war, das inzwischen die neuen Fensterscheiben und -rahmen wieder eingebüßt hatte und nachts lärmenden Straßenkindern als Treffpunkt diente, bot geradezu ein Paradebeispiel für die thematisierte Problematik. Zudem mühte sich die Elterninitiative Kinderladen Känguru e.V. seit Jahren erfolglos um das Haus. Dem zähen Ringen dieser und anderer Einzelkämpfer wieder Mut zu geben, den Verständigungsproblemen zwischen Ämtern, Bürgern und Projekten zu begegnen sowie dem Informationsmangel auf allen Seiten abzuhelfen, war Ziel der zwei Aktionswochen.

Den Ausgangspunkt bildete die Erfahrung vieler, dass mit dem Herbst 1989 die scheinbare Sicherheit in existenziellen Lebensbereichen verschwunden war. Diese Ungewissheit und Skepsis in Kreativität zu verwandeln und ihr eine Stimme zu verleihen, war angesagt. Unter dem Motto „Kommunikation in städtischen Räumen“ kam Leben in die Ruine. Grit Hanneforth und Birger Holm organisierten gemeinsam mit Werner Ehrlich unter der Trägerschaft des Büros für freie Kulturarbeit e.V. Ausstellungen, Veranstaltungen und Rahmenprogramm. Das Gemäuer wurde entrümpelt und innen weiß gestrichen. Stromanschluss, Wasser und Toiletten wurden installiert und die Stesad baute sogar kurzfristig neue Fenster ein.

4.000 Leute in der Ruine

Die Ruine verwandelte sich für 14 Tage in ein offenes Podium rund um das Thema Wohnen. Studenten, Vereine, Schüler, Künstler und Fachleute gestalteten mit Installationen, Vorträgen, Café und Filmen ein lebendiges Miteinander vom Keller bis unters Dach, vor und hinter dem Haus. Rund 4.000 Bürger aus Dresden und anderen europäischen Städten kamen am Ort der Begegnungen untereinander und mit Kommunalpolitikern ins Stadtgespräch. Die Themen reichten von Denkmalschutz und Ökologie über Architektur, Betroffenenbeteiligung und kostengünstiges Bauen bis hin zu Kunst und sozialen Projekten. Die Gäste berichteten über Entwicklungswege anderer Städte im Umgang mit diesen Fragen, verbreiteten Mut und Hoffnung, formulierten aber auch Skepsis für eine sozialverträgliche Gestaltung in Boomtown Dresden. Die gezeigten Ansätze zu kostengünstigem Bauen und das Konzept der kleinteiligen Stadtwirtschaft wären sicher eine Chance gewesen.

Unterstützt wurde das Stadtgespräch mit einem Gesamtumfang von rund 25.000 Euro. Den dennoch zur Kostendeckung fehlenden Betrag von 6.155 Euro übernahm die Stiftung. Die angeschafften Wechselrahmen verblieben bei den ausstellenden Vereinen, die Halogenstrahler, Regale, Klappstühle und Sonnenschirme gingen an den Kinderladen Känguru e.V. über, der im Ergebnis des Stadtgesprächs zwei Jahre später tatsächlich dort einzog, nachdem der öffentliche politische Druck einen positiven Bescheid für den Investvorrang der Stesad beschleunigt hatte. Heute treffen sich in dem kinderreichen Stadtteil täglich zahllose Mütter und Väter mit ihren Kindern auf dem Spielplatz vorm Haus – ein Ort zum Quatschen.